1. Der Forschungsprozess als Ausgangspunkt
Die Notwendigkeit von FDM ergibt sich vor dem Hintergrund zweier im Zuge der Open-Science-Bewegung formulierter Zielzustände: Diese sind die Forderungen nach einer verbesserten Forschungsintegrität und ‑ökonomie. Mit Forschungsökonomie sind hier die Voraussetzungen gemeint, die es ermöglichen, den Forschungsprozess möglichst effizient hinsichtlich zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen zu gestalten. Hierzu zählen die Schaffung von Rahmenbedingungen, die einen schnellen und barrierefreien Zugriff auf Forschungsdaten und ‑infrastrukturen ermöglichen, die optimierte Ausschöpfung von Investitionen fördern und zur verbesserten Nachnutzung von Forschungsdaten beitragen. Während der ökonomische Gesichtspunkt vornehmlich auf eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und somit Effizienz des Forschungsprozesses abzielt, wird mit einer Steigerung der Forschungsintegrität eine Verbesserung der Qualität des wissenschaftlichen Arbeitens angestrebt.1)Vgl. Blask / Förster / Lemaire 2019: 93. Entsprechend ihrem Berufsethos sollten Forschende bei ihrer Arbeit vier grundsätzlichen Prinzipien folgen: 1. Gewährleistung der Reliabilität des gesamten Forschungsprozesses; 2. Ehrlichkeit; 3. Respekt und 4. Verantwortung für alle mit dem Forschungsprozess assoziierten Aktivitäten sowie alle während des Prozesses erzeugten Forschungsergebnisse.2)Vgl. ALLEA 2017: 4. Diese Kriterien finden sich so auch in dem neuen DFG-Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ wieder. Vgl. DFG 2019.
Der Forschungsprozess und die an ihn angelegten Qualitätskriterien definieren somit die Voraussetzungen, welche einen direkten Einfluss auf das FDM haben und somit den Referenzrahmen für die Implementierung von FDM-Infrastrukturen und ‑Services bilden. Die primäre Funktion von FDM ist demzufolge die Erreichung der beiden Zielzustände Forschungsintegrität und Forschungsökonomie. FDM erlangt diese Funktionalität mittels des Erzählens einer Geschichte über Forschungsdaten.3) Vgl. Surkis / Read 2015: 154. Im Gegensatz zu der Veröffentlichung eines Zeitschriftenartikels, welcher hauptsächlich die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung behandelt, geht es beim FDM um das Erzählen der ganzen Geschichte in Anlehnung an die jeweiligen Stufen des Forschungsprozesses. Eine Darstellung des Forschungsprozesses von Minn und Lemaire zugrunde legend, beginnt FDM somit bereits bei der Entwicklung des Forschungskonzeptes (Ideen erzeugen, sich informieren und recherchieren, Methoden wählen, Partner suchen und sich vernetzen, Förderer finden) und erstreckt sich dann über die Primärdatenerhebung (Techniken und Technologien identifizieren, Daten erzeugen, Studien durchführen, Daten mit dem Ziel der Nachnutzbarkeit dokumentieren und archivieren), die Analyse und Auswertung (Daten darstellen und analysieren, Ergebnisse beschreiben, Publikation vorbereiten) und die Publikation von Forschungsdaten (Forschungsergebnisse publizieren) bis hin zu deren Archivierung (Forschungsdaten sichern und ggf. zugänglich machen).4)Vgl. Minn / Lemaire 2017: 14–15. Die Durchführung und Dokumentation all dieser Aktivitäten gewährleistet neben einer erhöhten Forschungsintegrität auch eine gesteigerte Effizienz des Forschungsprozesses, insofern als durch die vollständige Dokumentation Mehrarbeiten sowie Fehler vermieden und eine ressourcensparende Nutzung beziehungsweise Nachnutzung von Forschungsdaten gewährleistet werden kann.5)Vgl. ICPSR 2012: 6; van den Eynden / Corti / Woollard u. a. 2011: 3.
2. FDM-Prozessmodellierung mit ARIS
Während der FDM-Prozess mit dem Forschungsprozess und dem darin enthaltenen Datenlebenszyklus sehr klar umrissen ist, ist der Informationsverarbeitungsprozess, der das Zusammenwirken aller Beteiligten steuert, bislang nur unzureichend erforscht. Das Wissen um die konkreten Abläufe und das Zusammenwirken der verschiedenen Beteiligten ist jedoch eine entscheidende Voraussetzung, um FDM an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen effizient und effektiv betreiben zu können. Ein Konzept, welches sich in diesem digital geprägten Kontext besonders gut eignet, ist das ARIS-Konzept (Architektur integrierter Informationssysteme), das von August-Wilhelm Scheer für die Softwareimplementierung entwickelt wurde.6)Vgl. Scheer 2001. ARIS dient der Modellierung von Geschäftsprozessen, die das Spannungsfeld zwischen IT-Infrastruktur und Personalmanagement berücksichtigt. Im Detail ermöglicht das ARIS-Konzept aufgrund „einer gemeinsamen Sprache für IT und Management“7)Loos/Krcmar 2007: 67. eine Visualisierung von Geschäftsprozessen, die den Informationsfluss zwischen allen Beteiligten offenlegt und den Prozessen eine neue Qualität verleiht, die den Anforderungen der Digitalisierung gewachsen sind. Darüber hinaus erlaubt das ARIS-Konzept eine ganzheitliche, aber systematische Auseinandersetzung mit dem hochkomplexen FDM-Prozess: In einem ersten Schritt werden zunächst die einzelnen Aspekte eines Prozesses, wie Organisation, Funktion, Daten und zu erbringende Leistung, unabhängig voneinander betrachtet, um sie erst anschließend in einer Steuerungsperspektive miteinander in Beziehung zu setzen. Dies wird im ARIS-Konzept über eine Informationsarchitektur realisiert, die sich in fünf Sichten aufteilt: Die Organisationssicht, die Datensicht, die Funktionssicht, die Leistungssicht und die Steuerungssicht. Während die ersten vier Sichten die Betrachtung einer spezifischen Ebene des Prozesses ermöglichen, erlaubt die Steuerungssicht eine Darstellung der Relationen zwischen den einzelnen Sichten.
Für die Übertragung des ARIS-Konzepts auf den FDM-Prozess im Rahmen der Adaption auf den FDM-Referenzprozess können nur die Organisations‑, Funktions- und Steuerungssicht berücksichtigt werden, weil Daten- und Leistungssicht von individuellen Rahmenbedingungen und den einzelnen FDM-Services abhängig sind und nur im konkreten Anwendungskontext mit Kenngrößen versehen werden können.
Jede einzelne dieser fünf Sichten wird durch drei Beschreibungsebenen dargestellt. Auf der ersten Beschreibungsebene, der sogenannten Fachkonzept-Ebene, geht es zunächst um die Modellierung der Ist- und Soll-Zustände eines Prozesses. Dabei wird auf eine formalisierte Beschreibungssprache geachtet, damit die Überführung des Fachkonzeptes in die technische Implementierungsebene vereinfacht wird.8)Vgl. Schwickert / Müller / Bodenbender u. a. 2011: 32–34. Auf der Ebene des Datenverarbeitungskonzeptes wird anschließend die organisatorische Beschreibung der Ist- und Soll-Zustände in die Sprache der Informationstechnik übertragen, welche abschließend auf der Implementierungsebene durch entsprechende Soft- und Hardwarekomponenten umgesetzt wird.
Auch hier muss aufgrund der individuellen Ausprägung der Ebenen DV‑Konzept und Implementierung sowie deren Abhängigkeit vom konkreten FDM-Service auf die Definition des Referenzprozesses verzichtet werden. Die Umsetzung der Fachkonzeptebene über die Erstellung konkreter Datenmodelle und daraus abgeleiteter Implementierungsschritte muss für jede FDM-Aktivität durch die Forschungseinrichtungen selbst vorgenommen werden, weil dies von individuellen Rahmenbedingungen abhängig ist.
Anmerkungen
↑1 | Vgl. Blask / Förster / Lemaire 2019: 93. |
---|---|
↑2 | Vgl. ALLEA 2017: 4. Diese Kriterien finden sich so auch in dem neuen DFG-Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ wieder. Vgl. DFG 2019. |
↑3 | Vgl. Surkis / Read 2015: 154. |
↑4 | Vgl. Minn / Lemaire 2017: 14–15. |
↑5 | Vgl. ICPSR 2012: 6; van den Eynden / Corti / Woollard u. a. 2011: 3. |
↑6 | Vgl. Scheer 2001. |
↑7 | Loos/Krcmar 2007: 67. |
↑8 | Vgl. Schwickert / Müller / Bodenbender u. a. 2011: 32–34. |